Flüchtlingsgespräche
Du sagst du kämest aus Ghana
Wärst geflohen bis hierher
Seiest getrabt durch die Wüste
Bis an das libysche Meer
Habest bezahlt den Schlepper
Der dich schiffte übers Meer
Habest gehofft hier gäb’s Manna
Kein Weg war dir zu schwer
Seiest im Sturm fast gekentert
Halbtot gerobbt an den Strand
Mühsam dem Lager entronnen
Per Bahn dann in unser Land
Seiest nun hier und wollest
kein kiffender Traumtänzer sein
Erst recht kein geldgeiler Dealer
sammelst gerne Flaschen ein
Wenn die vom Amt dich ließen
Nicht fesselten an ein Heim
dich zum Nichtstun verdammten
Machst dir darauf keinen Reim
Sag nicht du kämest aus Ghana
Geh niemand auf den Leim
Kennt man erst deine Herkunft
schickt man dich umgehend heim.
Sehnsucht
Was trieb dich her? Die Sicht auf
Hortensienblaue Hänge
Vereint mit Himmel und Meer?
Was war dein Traum? Tupfer von
Segeln in tanggrüner Bucht
Verquirlt mit Hauben von Schaum?
Was böte der Tag? Geißblatt
Im Kampf gegen Brombeerranken
Vermählt mit Hecke und Hag?
Was wolltest du schauen? Im Flug
Möwen mit weißen Wolken
Verbündet gegen den Wind?
Sieh wie der Himmel gleißend
Aufreißt über den Klippen
Dass die Hortensien ringsum
Aufflammen rot und blau
Sehnsucht den Regenbogen
Spannt vom Meer bis nach Haus
Flammenschrift
Schon als die Straßen von Ur Menschheitswiege am Euphrat
Tote wie Tonscherben deckten Blut die Gruben rot füllte
wie Gold die Gussform Leichen wie Fett in der Glut vergingen,
schon in sumerischer Zeit als der Himmelsstier feurig
nieder auf Gilgamesch fuhr Uruks trotzwilden Herrscher
wenn er rasend wegriss die Weiber von den Geliebten,
Schon als in Babylon jäh Flammenschrift die Palastwand
hochfuhr hilflose Wachen Feldherrn und Magier zwang
ihren Bedränger Belsazar mitleidlos zu erwürgen,
schon als das persische Heer Babel in Blut erstickte,
nach ihm Harun Bagdad in tausend einer Nacht baute,
als schließlich British Petrol türkische Paschas erquickte –
Da erglänzte die Stadt heller als je Metropolen,
thronten hoch die Regenten, höher als alle Saddam.
Bis er sich vermaß mit den Ölherren Golf zu spielen,
und sie begannen die Nacht zielgenau zu entflammen,
über Bagdad zu zünden bombengelaunt das schönste
Feuerwerk aller Zeiten, sorgsam cleared by US Censor,
sie bildschirmpräzise Bomben und Raketen platzierten
weiche wie harte Ziele säuberlich wegzuradieren,
dass ihre Börsenkurse steil wie die Patriots stiegen -
da saß der Dieb von Bagdad tief im Bunker vergraben,
stierte die Wand an und las „Mene tekel upharsin“
Öl – so schreiben die Fackeln – Öl soll fließen statt Blut!
November
Wenn im November plötzlich die Pappelkronen
reifversilbert erstarren, schweflige Wolken
über den Schloten rotgerändert verharren,
riesig der Kühlturm hinter der dunklen Halde
hochbauscht weiße Schwaden, von der Lippe her
Kraniche in Kolonnen spitz gestaffelt ruhrwärts
rudern – dann werf ich winkend die Arme hoch
und wende mich weherfüllt heim.
Ruhrlicht
An Bremslichtern klebend hebt dein Blick
ab zur Wolkenkruste im Morgenrotfieber
rollt dir in der Kurve der Sonnenball in den Spiegel
färbt sich die Watte über den Schloten purpurn
werfen sich eh du die Augen zukneifst dem Feuer
weißgefiederte Fahnen entgegen.
Fundevogel Federwicht
Vater kaufte mir als Kind auf der Kirmes eine Tröte
lockte einen Ton hervor wehevoll wie Abendröte
hab ihn lebenslang im Ohr.
Fühle mich als Findelkind so bewahrt wie Fundevogel
blas und spüre wie ich flieg leichthin über jeden Kogel
über Not und Nacht und Krieg.
Stehe oft im Sommerwind hör von fernher sein Getute
wie es in den Wipfeln klingt ach wie wird mir weh zumute –
ob mein Sehnen zu ihm dringt?
Bin längst taub und farbenblind kann nicht eine Feder sehen
hör den Fundevogel kaum hoffe nur er hört mein Flehen.
Spür: er sitzt da auf dem Baum.
Fundevogel Federwicht, birg dich nicht im Gegenlicht
bitte sehr verlass mich nicht so verlass ich dich auch nicht
nun und nimmermehr.
Die Liebe
Ich fliege sagt die Jugend – und verfliegt
Ich blühe sagt die Schönheit – und verblüht
Ich glühe sagt die Leidenschaft – und verglüht
Ich liebe sagt die Liebe und bleibt.
Nachlass
Wenn an unserm gelben Haus schattenlos der Stundenfinger
unbewegt ins Nirgends zeigt, niemand mehr tagein tagaus
prüft im Schein der Arbeitslampe ob der Giebel sich nicht neigt,
Auf dem Marmortisch der Wein achtlos sich im Glas verflüchtigt,
Stille herrscht im weiten Raum, durch den Türspalt dringt kein Schein
an das lang geteilte Lager, Dunkelheit löscht keinen Traum –
Dann setz einen letzten Punkt. Meinen Leib senk ohne Tränen
in die lehmgestochne Gruft, lass ich bitte dich beiseite
alles, was laut tönt und prunkt, schenk mir deinen leisen Duft.
Mehr Gedichte in: Flussopfer, Werne: Ventura 2015